Zivilcourage und Bildung: Dr. Spaenle zu Besuch an der FOS Germering im Kampf gegen Antisemitismus
Am 11. September 2024, dem Jahrestag der verheerenden Terroranschläge in den USA, die vor 23 Jahren die Welt veränderten, besuchte der bayerische Antisemitismusbeauftragte Dr. Ludwig Spaenle die Fachoberschule Germering. Schulleiter Jürgen Vath erinnerte in seinen Begrüßungsworten an die Verschwörungstheorien, die nach den Anschlägen aufkamen und Menschen jüdischen Glaubens für die Attacken verantwortlich machten. Das Narrativ des jüdischen Einflusses auf die Weltpolitik ist nicht neu. Und deswegen, so betonte der Schulleiter, sei es umso wichtiger, solche Mythen als Lügen zu entlarven.
Diese Worte wurden von den Schülerinnen Sara Iglicar, Lena Valentin und Marcela Viejobueno als Teilnehmerinnen des Seminars „Die Macht der Narrative – Wie Vorurteile und Stereotypen zu Hass, Gewalt und Ausgrenzung gegenüber Juden führen“ aufgegriffen und ergänzt, indem sie dem Publikum den eigentlichen Anlass der Einladung des Antisemitismusbeauftragten nannten. Sie wollten verstehen, warum seit dem 7. Oktober 2023 insbesondere israelbezogener Antisemitismus zugenommen hat. An diesem Tag veränderte sich für die Bevölkerung Israels die Welt, denn bei dem Massaker der islamistischen Terrororganisation Hamas wurden mehr als 5400 Menschen verletzt, 1139 Menschen ermordet und 250 Geiseln genommen. Menschen wurden gequält, gefoltert und vergewaltigt, bevor sie ermordet und verstümmelt wurden. Und dennoch, so führen die Schülerinnen aus, nähmen antisemitische Straftaten hier in Deutschland rapide zu. Das Mitgefühl gegenüber Jüdinnen und Juden schwinde aber. Plakate auf pro-palästinensischen Demonstrationen, die Israel als „Kindermörder“ diffamieren, würden die Frage aufwerfen, ob es sich hierbei noch um legitime Kritik an der israelischen Regierung im Krieg gegen die Hamas handelt oder ob bereits die Grenzen zum Antisemitismus überschritten sind, denn es werde Bezug zum uralten Narrativ des Ritualmordes genommen, nach dem Jüdinnen und Juden christliche Kinder entführen und ermorden, um ihr Blut für rituelle Zwecke zu nutzen.
Die Schülerinnen forderten Dr. Spaenle auf, ihnen moderne Formen des Antisemitismus zu erklären und Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen, damit Menschen jüdischen Glaubens in Bayern und Deutschland eines Tages ohne Polizeischutz leben können.
Der bayerische Antisemitismusbeauftragte nahm diese Anliegen ernst. Er schilderte seine Eindrücke von einem Besuch in Israel kurz nach dem Hamas-Angriff und die bestialische Brutalität, die er in Bildern ertragen musste. „Das Leid des seit dem Terrorangriff herrschenden Krieges in Gaza erträgt niemand“, betont Spaenle, „doch das rechtfertigt nicht, dass Juden in Deutschland angegriffen werden, nur weil sie Juden sind“.
Er wies darauf hin, dass der Antisemitismus seit dem Ausbruch des Krieges neue Dimensionen erreicht hat, denn auf propalästinensischen Demonstrationen würden sich verschiedene politische Strömungen verbünden, die sonst gegeneinander hetzen würden. „Rechtsextreme, linksextreme und islamistische Gruppierungen nutzen das Leid des Krieges, um ihre antisemitischen Weltanschauungen zu verbreiten“, erklärte er. So verwundere es nicht, dass der zweitausend Jahre alte Vorwurf des Ritualmordes im neuen Gewand wiederauflebe. Sie würden sich aber auch in dem Slogan „Free palestine“ oder in seiner längeren Formulierung „Free palestine from the river to the sea“ zeigen und stünden dann eben nicht mehr nur für die Forderung eines eigenständigen palästinensischen Staates, sondern implizierten die Aberkennung des Existenzrechts Israels.
Für den Antisemitismusbeauftragten ist es besonders alarmierend, dass solche Positionen häufig an den höchsten Bildungseinrichtungen, insbesondere Universitäten, verbreitet werden. Diese Institutionen sollten eigentlich als Bastionen des kritischen Denkens fungieren, wo Fragen aufgeworfen, Probleme hinterfragt und durch Diskussionen sowie Austausch neues Wissen geschaffen wird – Orte, die zur Entwicklung konstruktiver Lösungen beitragen. Anstatt eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Frage, ob die israelische Regierung im Konflikt Völkerrechtsgrenzen überschreite, anzuregen, würden solche Positionen einfach unreflektiert vorausgesetzt. Der Weg für konstruktive Lösungen sei dadurch versperrt.
Dr. Ludwig Spaenle berichtete von konkreten Vorfällen in Bayern, wie der Absage des Freundschaftsspiels der Fußballjugend vom TSV Maccabi München, weil selbst Spieler, Trainer und Familien gegnerischer Mannschaften bedroht würden, sollten sie gegen den jüdischen Verein antreten. Freundschaften werden laut dem Antisemitismusbeauftragten beendet, jüdische Arbeitskollegen werden angegangen, weil sie für den Krieg in Gaza unmittelbar verantwortlich gemacht werden. „Jüdische Studenten trauen sich nicht mehr in die Universitäten, weil sie ständig gezwungen werden, sich zu rechtfertigen“, so seine besorgte Einschätzung.
Er erinnerte an Deutschlands Verantwortung, für die Sicherheit und Existenz Israels einzustehen, was nicht nur militärische Unterstützung bedeute, sondern vor allem auch ein sicheres Leben für jüdische Menschen in Deutschland impliziere. Das bedeute, auch den Mut zu haben, die israelische Regierung darauf hinzuweisen, wenn sie freiheitlich-demokratische Werte missachte und Grenzen überschreite. Dabei lobte er die klare Haltung der deutschen Außenministerin zur Siedlungspolitik der israelischen Regierung.
Im anschließenden Gespräch mit den Schülerinnen betonte der Antisemitismusbeauftragte, dass die Auseinandersetzung mit der Shoa und die Beschäftigung mit anderen historischen Verbrechen nicht gegeneinander ausgespielt werden dürften. Die systematische Vernichtung von über 6 Millionen Juden stelle ein einzigartiges Verbrechen dar, dessen Grausamkeit und Ausmaß in der Geschichte unerreicht sei. Terror wurde zwar stets als Mittel zur Herrschaftssicherung eingesetzt, so Spaenle, doch die Ausrottung der europäischen Juden diente nicht diesem Zweck; sie stellte sogar eine Belastung für das Hitler-Regime dar. Dies werde deutlich, wenn man die Deportationszüge in die Gaskammern betrachte, die Vorrang vor den Versorgungszügen für die Fronttruppen gehabt hätten.
Dieser dunkle Abschnitt deutscher Geschichte dürfe nicht in Vergessenheit geraten, sondern müsse besonders gewürdigt werden, um zu verstehen, warum die freiheitlich-demokratische Grundordnung unser höchstes Gut sei, das es verdient habe, immer wieder erkämpft, verteidigt und geschützt zu werden.
Abschließend appellierte er an die gesamte Gesellschaft: „Damit wir alle in Deutschland sicher leben können, ist es notwendig, dass wir einander wahrnehmen, zuhören und uns mit Respekt begegnen.“ Nur so könne gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in all ihren Formen, sei es Sexismus, Ableismus, Islamophobie, Rassismus oder eben Antisemitismus, unterbunden werden.