Rezension von Stephanie Weiser
Rebecca Makkai: Die Optimisten (engl. Ausgabe 2018, dt. Ausgabe 2020)
Chicago 1985: Die Handlung setzt ein mit einer Party zum Gedenken an den drei Wochen zuvor verstorbenen Nico, weil dieser es sich so gewünscht hat. Nico ist der Erste im Freundeskreis der Mittzwanziger, der sich im sogenannten Boystown mit einem neuartigen Virus ansteckt und nach elender Krankheit stirbt. Er wird nicht der Letzte sein, denn das Virus grassiert unter den jungen homosexuellen Männern, die so voller Tatendrang sind, sich auf das Leben freuen, noch so vieles vorhaben. Ihre Sorglosigkeit wird jäh zerstört – das HI-Virus verändert ihr Leben.
An diese Zeit, in der das Virus entdeckt wurde und die Krankheit AIDS ihre ersten Schrecken verbreitete, erinnert sich wohl jeder, der damals lebte. Ich erinnere mich noch sehr gut, wie ich als damals Fünfzehnjährige zum ersten Mal davon hörte. Es herrschte große Verunsicherung darüber, wie man sich infizieren könnte, viel irrationale Angst befiel die Menschen. Lange Zeit gab es kein wirksames Medikament. In der Gesellschaft der Achtziger Jahre, in der – in den USA ebenso wie in Europa – Homosexualität noch weitgehend totgeschwiegen wurde, wurden HIV-Infizierte wie Aussätzige behandelt.
In diesem Milieu spielt die Handlung des Romans. Er erzählt aus nächster Nähe, wie die jungen Männer versuchen, ihr Leben, ihre Karrieren und Beziehungen aufzubauen und immer wieder von Krankheit und Tod eingeholt werden. Wie sie von widerstreitenden Emotionen, von Misstrauen, Eifersucht, Mitleid, Solidarität, Verzweiflung und Optimismus umgetrieben werden.
30 Jahre später treffen sich einige der Überlebenden mehr oder weniger zufällig in Paris wieder, darunter Nicos jüngere Schwester Fiona. Sie erinnern sich an das Gefühlschaos von damals, lassen verschiedene Situationen Revue passieren, bereuen, dass sie in bestimmten Momenten nicht da waren für andere. Die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen.
Der Roman endet mit einer Videoinstallation auf einer Vernissage. Dort sieht man die jungen Männer, wie sie noch unbeschwert flachsen, bevor Nico an AIDS erkrankt. Sie verfolgen den Abriss ihres Lieblingsclubs:
„Yale und Charlie und Nico, die sich vor Lachen biegen. Charlie, der den Staub zwischen den Fingern zerreibt, ihn auf den Gehweg rieseln lässt. Nico, der ihn in Charlies Jackenärmel reibt. Ein Mann schmiert ihn sich auf die Wangen, eine Frau sagt: ‚Das ist bestimmt Asbest.‘ Charlie, immer noch lachend, aufgedreht. ‚Wir nehmen es mit nach Hause!‘ […]Noch einmal Nicos Stimme, körperlos: ‚Ich wäre jetzt bereit für meine Nahaufnahme, Mr. Campo!‘ Der Rinnstein und eine lange Stille.
Sie dachte, hier würde der Film enden, doch während das Gelächter abebbte, verweilte die Kamera bei einem Mann, der sein langes schwarzes Haar zu einem Pferdeschwanz band. Bei einer Mutter, die mit ihrem kleinen Sohn an der Hand zwischen den letzten Schaulustigen hindurchging. Bei Yale und Charlie, die sich von der Kamera entfernten, so eindeutig ein Paar – dicht beieinander, aber ohne sich zu berühren. Um sie herum eine Stille so groß wie die Stadt.
Dann fing der Film wieder von vorne an. Da standen sie alle. Das Bistro war unversehrt. Junge Männer mit den Händen in den Hosentaschen, die darauf warteten, dass alles begann.“
Der Roman lebt von dieser Unmittelbarkeit, die durch viel wörtliche Rede, Gefühlsbeschreibungen und Alltagsszenen entsteht. Nach 600 Seiten hat man den Eindruck, diese Menschen sehr genau zu kennen. Und sie zu vermissen.